Sigrid Varduhn
Autorin | Schreibcoach | Erzählerin
Newsletter vom 21.08.2020

Show donʼt tell – Dogma oder Handwerkszeug

Liebe Schreibfreundinnen, liebe Schreibfreunde,

Mark Twain soll es so gesagt haben: „Donʼt say, the old lady screamed. Bring her on and let her scream.“ Wer einen Text mit dem Feedback „Show donʼt tell“ oder „zeigen statt behaupten“ zurückbekommt, weiß oft schon, wo der Hase im Pfeffer liegt. Zu schnell erzählt, zu viel behauptet, zu viel vorausgesetzt bei den Leserinnen und Lesern, zu wenig Emotionen ausgelöst.

Aber gilt dieses „Show donʼt tell“ wirklich absolut und sind zum Beispiel Adjektive immer kritisch zu sehen? Es gibt Erzähltraditionen – zu denen auch das Märchen gehört – die vor allem auf das Berichten setzen und weniger auf das Zeigen. Und in jeder Geschichte, in jedem Roman gibt es sowohl „Show“ als auch „Tell“. Entscheidend ist die Dosis und wann was passt und vor allem, dass du das Zeigen kannst, wenn du es brauchst.  

Show donʼt tell – und wie es geht:

  1. Zeigen heißt schreiben für alle Sinne.
    Am liebsten waren Karl als Kind die großen Ferien. Jeden Tag konnte er mit seinen Freunden etwas Aufregendes unternehmen. Er hätte am liebsten das ganze Jahr über große Ferien gehabt.“ Diese Sätze bleiben zu blass, weil wir nicht erzählt bekommen, was Karl denn Aufregendes unternommen hat. Es genügen zwei, drei Beispiele von Floßfahrten über den See, von Höhlensuchgängen oder Lagerfeuern und schon bekommen wir ein Bild davon.  

    Show donʼt tell bedeutet Kopfkino und Schreiben für alle Sinne. Über das Berichten bekommen wir zwar Informationen, aber wir erleben sie nicht mit. Zeigen heißt, den Lesenden das Gefühl zu geben, dabei zu sein, die Situation emotional mitzuerleben.
  2. Zeigen heißt konkret werden.Die Nacht war kalt“ oder „In der Luft lag der Geruch nach Schnee“? Welcher Satz für deine Geschichte besser passt, hängt auch damit zusammen, welche Funktion er hat, ob du damit z.B. „nur“ eine Szene einleiten oder einen ganz bestimmten Schauplatz zeigen willst.

    Mit „Die Nacht war kalt“ präsentiert sich dem Lesenden der Standardtyp einer kalten Nacht. Aber es kann natürlich hunderte verschiedene kalte Nächte geben, die alle auf ihrer ganz eigene Art kalt sind. Zum Beispiel so, dass einem die Finger taub werden trotz Handschuhen. Oder so, dass auf den Straßen einer Großstadt keine Menschen mehr unterwegs sind. Die Besonderheit einer kalten Nacht bekommst du nur übers Zeigen hin. Und dadurch wirkt das, was du zeigst, einzigartiger und oft intensiver auf die Leserinnen und Leser.

    Teste es selbst: Wenn du beim Schreiben das Gefühl hast, schnell über die Handlung oder die Schauplätze hinweg zu schreiben, die Figuren zu stereotyp anzulegen, kann es Zeit zum Zeigen werden. Anschließend vergleichst du beide Versionen und schaust, wie es besser für dich passt. Ein ganz schöner Aufwand? Stimmt. Manchmal ist das Problem nämlich einfach nur, dass wir uns zu wenig Zeit zum „Ausmalen“ genommen haben.
  3. Show donʼt tell – das Elfchen
    Und nun noch ein kurzer Schreibimpuls fürs Zeigen statt behaupten. So kannst du dem auf die Spur kommen, was sich z.B. an einer Figur oder einem Schauplatz zeigen lässt. Dafür habe ich das im kreativen Schreiben beliebte „Elfchen“-Gedicht etwas abgewandelt:

    1. Zeile: 1 Wort – das Adjektiv zu Ihrer Figur, Ihrem Schauplatz oder … Beispiel: Schüchtern
    2. Zeile: 2 Wörter – die Figur oder den Schauplatz benennen. Beispiel: der Erik
    3. Zeile: 3 Wörter – Worin zeigt sich diese Eigenschaft? Beispiel: Sagt kein Wort
    4. Zeile: 4 Wörter – Frei weitererzählen. Beispiel: Auch nicht vorm Altar
    5. Zeile: 1 Wort – ein Fazit oder Ausruf. Beispiel: Schade

So sieht mein Elfchen als Ganzes aus: „Schüchtern, der Erik. Sagt kein Wort. Auch nicht vorm Altar. Schade.“ Und schon hätte ich eine Idee (von vielen möglichen), wie sich Eriks Schüchternheit zeigen lässt. Probiere es einfach aus.

Für mich ist Show dontʼt tell eben kein Dogma, sondern einfach ein Handwerkszeug, das sich trainieren lässt. So wie es auch ein Handwerk ist, Sätze kürzen zu können (ohne dass jeder Satz kurz sein muss).

Schau doch auch bei deiner aktuellen Lektüre, wie dort mit „Show donʼt tell“ umgegangen wird.  Viel Vergnügen bei der Recherche und beim Schreiben wünscht dir

Sigrid

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