Liebe Schreibfreudige,
mein Buch kommt heraus. Das freut mich sehr. Im Oktober erscheint „Der Engel ist weg. Kleine Weihnachtswunder“ – kurze Geschichten mit leisem Humor von kleinen und großen Wundern, die in der Advents- und Weihnachtszeit geschehen können.
Als vor über 10 Jahren die ersten Geschichten dazu entstanden und ich sie bei Lesungen in Cafés vorstellte, hatte ich das Genre Kürzestgeschichten (oder „Flash Fiction“) noch gar nicht auf dem Schirm. Insofern waren sie für mich einfach: Kurzgeschichten.
Im angloamerikanischen Raum ist Flash Fiction schon bekannter. Und so habe ich das Genre auch kennengelernt und dabei festgestellt, dass fast alle meiner Geschichten Kürzestgeschichten sind – weil sie knapp unter 1000 Wörtern liegen.
Wie lang oder kurz eine Geschichte ist, bringt auch Unterschiede in Sprache, Figuren, Dialog und Aufbau mit sich. Ganz besonders gilt das natürlich beim Vergleich von kürzesten Kürzestgeschichten (mit wenigen Zeilen) und „langen“ Kurzgeschichten (bis zu 20 Seiten). Deshalb geht es in diesem Newsletter um einige ihrer Aspekte:
Kurz- oder Kürzestgeschichten – was liegt dir mehr beim Schreiben?
- Kürzt du gern? Oder möchtest du es können?
Die einen sind eine Zeile bis ca. 4 Seiten kurz, die anderen zählen ca. 4 bis 20 Seiten. Das ist eine (grobe) Definition dazu, was Kürzest- und Kurzgeschichten im Umfang unterscheidet.
Aber nicht immer (oder sogar eher selten) sind Kürzestgeschichten von Anfang an so kurz. Wer Kürzestgeschichten schreibt, wird Meister darin, etwas doch nicht oder nur in Andeutungen zu erzählen. Wort für Wort darauf zu schauen, was die Geschichte wirklich braucht, heißt auch dort zu straffen, wo wir sonst in Worten schwelgen würden.
Und auch Kurzgeschichten gewinnen natürlich durchs Drüberschauen: Welche Sätze oder Wörter können doch noch raus? Nur dass das bei ihnen nicht ganz so viel zu sein braucht.
- Wie nah möchtest du deinen Figuren sein?
Namen haben sie alle, die Figuren in meinen Dezembergeschichten. In ihren Eigenschaften allerdings bleiben sie angedeutet. Sie stehen für das, was ich mit den Geschichten erzählen will, aber zum Beispiel ihr Äußeres kommt nur vor, wenn es für die Handlung wichtig ist.
In Kurzgeschichten ist das anders. Dort lernst du deine Figuren näher kennen. Auch wenn du nicht alles davon erzählst, ist es wichtig, dass du weißt, wie sie aussehen, was sie besonders macht, was sie mögen und sich wünschen.
- Wie viel Wendung soll es sein?
Als Königin der Kurzgeschichte gilt die kanadische Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Alice Munro. In ihren Geschichten lässt sie uns ganz plötzlich in das Leben ihrer Figuren einsteigen. Und schnell glauben wir zu wissen, worauf es hinausläuft. Und dann kommt es doch wieder anders – und das mehrfach. Oft erzählt sie ganze Familiengeschichten an, aber nur genau so viel davon, wie wir brauchen, um genau diese eine Geschichte zu verstehen.
So viel Platz hat die Kürzestgeschichte nicht. Bei den ganz kurzen von ihnen geht es so wie bei dieser Geschichte von Peter Handke: „Vor dem Fotoautomaten auf ein Foto warten; dann käme ein Foto mit einem anderen Gesicht heraus – so finge eine Geschichte an.“ Kürzestgeschichten erzählen ihre Wendungen weniger in Buchstaben, sondern in dem, was sie im Kopf der Lesenden auslösen.
Kürzeste oder kurze Geschichten – vielleicht magst du dich auch gar nicht entscheiden und dein Herz schlägt für beides, für ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Möchtest du noch mehr erfahren und ausprobieren? Im Herbst/Winter gibt es wieder Online-Schreibkurse dazu. Am 1. November startet der 6-wöchige Schreibkurs „Flash Fiction – Kürzestgeschichten“ und am 10. Januar 2023 der 8-wöchige Schreibkurs „Kurzgeschichten schreiben“. Beide Kurse bauen auf eine Kombination von Schreibimpulsen, Beispieltexten, Austausch und Rückmeldung zu deinen Texten. Ich freue mich, wenn du dazu kommst.
Einen goldenen (Schreib-)Herbst für dich, herzliche Grüße
Sigrid