Liebe Schreibfreundin, lieber Schreibfreund,
„schreiben Sie über einen erlebten oder erfundenen Unfall“ – so lautet eine der Aufgaben in Louise Doughtys „Ein Roman in einem Jahr“. Braucht denn jede Geschichte einen Unfall? Doch darum geht es gar nicht so sehr. In fast jeder (wann gelten Regeln schon mal für alle) Geschichte bricht ein konkretes Ereignis – der auslösende Moment – in den Alltag des Helden/der Heldin ein und bringt die Handlung ins Rollen. Das kann ein Unfall sein, eine Begegnung, ein Umzug oder etwas anderes, das das Leben verändert.
Der auslösende Moment in Geschichten – 3 Beispiele:
1. Warum tut sie das?
Eine von Alice Munros Geschichten startet damit, dass eine rothaarige, sommersprossige Frau den Bahnhof aufsucht und Möbel in eine Stadt irgendwo in Kanada verschicken will, von der der Stationsvorsteher noch nie gehört hat. Warum tut sie das? Will sie dorthin ziehen? Wer ist die Frau, die der Stationsvorsteher zum ersten Mal sieht, obwohl er doch so gut wie alle in der Stadt kennt? Das auslösende Moment weckt Fragen beim Leser – die durch die Geschichte führen.
2. Das Problem
Auch ganz kurze Geschichten kennen auslösende Momente. „Die Geschichte mit dem Hammer“ von Paul Watzlawick beginnt mit dem schlichten Satz: „Ein Mann will ein Bild aufhängen.“ Das sollte doch eigentlich kein Problem sein, oder? Aber es muss ein Problem geben, sonst wäre es keine Geschichte. Also lese ich los…
3. In der Geschichte verborgen
Noch raffinierter: Das auslösende Ereignis muss noch nicht einmal offensichtlich sein, damit es unser Interesse weckt. Es reicht schon, wenn wir es vermuten. In der Geschichte „Das serbische Mädchen“ von Siegfried Lenz macht sich Dobrica auf den Weg nach Hamburg, um nach Achim zu suchen. Die Vermutung liegt nahe, dass sie schwanger ist. Auch im letzten Satz der Geschichte deutet der Ich-Erzähler das allerdings nur an: „Als sie weggeführt wurde, lächelte sie und als sie in der Mitte des trüben Ganges stehen blieb und sich zu mir umwandte, um mir knapp zuzuwinken, wusste ich, dass sie das dünne Kleid mit den aufgedruckten Mohnblüten nicht mehr lange würde tragen können.“
Auslösende Ereignisse (er-)finden und zu Geschichten weiterentwickeln. Das kannst du am 2. Oktober von 16-18 Uhr ausprobieren, denn dann gibt es die Tea-Time-Schreibwerkstatt „Alltagsminiaturen“ im WunderScholl in Potsdam-West. Und wer langfristiger plant, kann sich schon den 27. November vormerken – für die Tea-Time-Schreibwerkstatt „Adventsgeschichten“.
Herzliche Grüße
Sigrid