Wir schreiben das Jahr 1835. In den USA erfindet Joseph Henry, Professor für Naturwissenschaften, das elektromagnetische Relais, durch das die Telegrafie über große Entfernungen möglich werden wird. Im schottischen Dundee führt James Bowman Lindsay, Physiker und Erfinder, zum ersten Mal elektrisches Licht vor. Und in Odense auf der dänischen Insel Fünen schreibt ein dreißigjähriger Mann von Prinzessinnen und tanzenden Blumen.
Nachdem er als 13-jähriger allein nach Kopenhagen aufgebrochen ist, hat sich Hans Christian Andersen schon als Schauspieler, Sänger, Tänzer und Bühnenautor versucht. Gerade ist auch sein erster Roman herausgekommen, “Der Improvisator”, bis 1851 in 7 Sprachen übersetzt. Aber dann wird er doch Dichter, Märchendichter.
Was, wenn er beschlossen hätte, es gäbe schon genug Märchen in der Welt und man könne keine mehr dazu erfinden? Dann wäre die Welt um viele schönste Märchen ärmer. Und ich um mein Lieblingsmärchen.
Märchen können Literatur sein, aber auch Ausdrucksform – und Spiegel für unsere Gefühle, unsere Sorgen, unsere Wünsche. Wer nicht gleich ein ganzes Märchen schreiben will, kann sich auch dem eigenen Lieblingsmärchen schreibend nähern. “Nun steht schon wieder eine von denen vor der Tür. Habe ich mir doch gedacht, seit drei Tagen schleicht sie vor meiner Höhle herum und heute hat sie sich erst reingetraut.” So beginnt mein “Bericht einer Meerhexe”, den ich vor einigen Jahren zu meinen Lieblingsmärchen “Die kleine Meerjungfrau” geschrieben habe. Zu Märchen zu schreiben, die uns vertraut sind, bedeutet, sie in ihrer Bedeutung für uns noch besser verstehen zu können.
Schreibst du “märchenhaft”? Oder nicht so sehr? Ganz egal. Denn Märchen können vieles sein, von frech oder humorvoll bis zart oder fantastisch. Eines meiner Lieblingsmärchen aus “Zauberreich der Phantasie. Die Märchen der Dichter”, erschienen im Insel Verlag, heißt “Der König der Elfen”, stammt von Philip K. Dick und spielt … an einer Tankstelle. Ob Stefan Zweig oder Leo Tolstoi oder Vladimir Nabokov, sie alle haben auch Märchen geschrieben.
Lesetipp: “Zauberreich der
Phantasie. Die Märchen der Dichter”
Und von “Es war einmal …” bis “Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben Sie noch heute.” – so können Märchen gebaut sein. Aber vielleicht machst du es auch ganz anders.
Übrigens: Im März 1835 schreibt Andersen, Örsted (sein Freund und Förderer und Professor für Naturwissenschaften), habe gesagt, der Roman würde Andersen Ruhm einbringen, aber “die Märchen würden ihn unsterblich machen, sie seien das Vollkommenste, was er geschrieben habe.“