Sigrid Varduhn
Autorin | Schreibcoach | Erzählerin

Min Platt – Platt in Brandenburg

Plattdeutsch – oder Niederdeutsch – das hat für viele Jahre meines Lebens ans Meer gehört. Ich habe es an die Nordsee verortet und an die Ostsee und war daran gewöhnt, es im Urlaub zu hören.

Aber dann, so vor 25 Jahren, hörte ich von einer Freundin, dass ihre Oma in Brandenburg noch Platt gesprochen habe. Platt in Brandenburg? Dabei wohnte ich doch selbst längst dort und war auch in Berlin aufgewachsen. Konnte das sein, dass es neben dem Sorbischen noch eine andere Sprache gab, die hier lange zu Hause gewesen war und von der ich doch nichts wusste?

Doch erst einmal geschah wieder für Jahre nichts. Weil ich einfach niemanden traf, der Platt sprach in Brandenburg.

Bis ich vor einigen Jahren mit dem freien Erzählen anfing, Geschichten, Märchen, Sagen, vor allem auf Erzählspaziergängen. Da rückte das Niederdeutsche näher. Denn es gab auch schon länger „Frau Harke“, zu der ich gern mehr erzählen wollte. Frau Harke? Mudder Harksch ist eine „Verwandte“ von Frau Holle, eine Sagenfigur aus dem Elb-Havel-Winkel (südlich von Havelberg). Und wenn ich schon von Frau Harke erzählte, dann vielleicht auch auf Plattdeutsch, der Sprache, die hier früher gesprochen wurde?

Nur dass die Geschichten, die ich zu Frau Harke fand, höchstens mal einen Zweizeiler auf Plattdeutsch enthielten. Zum Beispiel in der kurzen Sage von „Frau Harkes Rückkehr in den Elb-Havel-Winkel“. Es heißt, Frau Harke hätte sich angesichts des zunehmenden Baus von Kirchen in den Thüringer Wald zurückgezogen (mitsamt ihrer „Unnerirdischen“). Aber es heißt auch, sie sei noch einmal zurückgekommen. Bei einem Elbhochwasser im 18. Jahrhundert, das mit einem gewaltigen Sturm einherging, für den die Leute sie mit diesen Worten verantwortlich machten: „Wer soll det weiher west sind as de oll Mudder Harksch, dänn se was met det Woater jümmers schon in Fiendschaft.

Also musste ich selbst noch mehr dran. Und auf einmal fielen mir Geschichten, Märchen und Sagen in Plattdeutsch auf, auch in Büchern, die ich schon länger besaß. Zum Beispiel in „Sagen und Märchen aus der Mark Brandenburg“, herausgegeben von Ingeborg Drewitz. So die Geschichte vom weissagenden Schwan in Kemnitz (nicht weit von mir bei Werder), der immer kurz vor Mitternacht aus dem Plessower See kam, wenn bald darauf jemand im Dorf starb, sodass der Nachtwächter die 12. Stunde gar nicht mehr ankündigen mochte:

To Kemnitz ist vör noch gaar nicht lange Tiet een Nachtwächter weest, de haddet immer vorher weeten künnen, wenn eener int Dörp sterven sülle, denn wenn he dunn dett de zwelfte Stunne afroopen wullen, is en grooten witten Schwan uuten Pleessowschen See ruutekamen un is na´n Kerkhof ruppegahn, un denn is jedetmal balle eener int Dörp estorven, so datt he gaar nicht mehr hett de zwelfte Stunne aufroopen müügen.

Und manch eine der Geschichten auf Hochdeutsch enthält noch ein niederdeutsches Zitat, z.B. die Geschichte vom „Riesenstein bei Wandlitz“, von einem Riesen, der sich seinen Fuß an einem gewaltigen Stein stieß und ihn darauf weit übers Land warf: „Hebb ick mii stooten an miine groote Teh, will ick dii ook smeeten oower de Wandelitzsche See!

Gerade begegnet mir das Niederdeutsche immerzu, zum Beispiel

  • bei einem Besuch im Hanse-Museum in Lübeck: eine Riesen-Karte mit dem ganzen Gebiet, in dem niederdeutsch gesprochen wurde und auch die Sprache der Hanse war: von Flandern bis ins Baltikum
  • letztes Jahr mit dem Film „Von Icke bis Platt“ von Gerald Backhaus über die „Berliner Schnauze“ und das Niederdeutsche in Brandenburg

Und inzwischen bin ich übrigens auch in einer Plattgruppe, die sich in Potsdam trifft und zum „Verein für Niederdeutsch im Land Brandenburg“ gehört. Bei den Treffen kommen das Märkische Platt mit Flämingisch und Mecklenburger Platt und Niedersächsischem Platt zusammen. Und wie das so ist mit den "alten Sprachen": Worte und Aussprache können sich wirklich schon von Dorf zu Dorf unterscheiden. Doch immerhin kenne ich jetzt „Platt-Leute“, die ich fragen kann. Und ich bin gespannt, wohin und wozu mich das Niederdeutsche in den nächsten Jahren noch führen wird.

Auf jeden Fall: Min Platt, ick kümm.

Quellen und Tipps:

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