Ganz unverhofft sind sie mir über den Weg gelaufen – die Harzer Kiepenfrauen. Denn bis vor vier Wochen wusste ich noch gar nicht, dass dieser Sommer mein Harzsommer wird.
So bin ich nun mit meinem Deutschlandticket alle 2 bis 3 Tage von Potsdam aus dort. Was für ein Glücksgriff. In Wernigerode war ich und in Quedlinburg, in den Klöstern Michaelstein, Ilsenburg und Drübeck, an der Ilse und der Bode, in Thale und Schierke und an vielen Orten mehr.
Und immer wieder sind auch sie mir begegnet, die Kiepenfrauen, in Skulpturen am Wegesrand, auf Schautafeln, in der Literatur. Mit ihren Kiepen waren sie unterwegs, um etwas dazuzuverdienen für die Familie, ihre Männer waren meist Berg- und Waldarbeiter. Oder um sich selbst zu ernähren, weil sie verwitwet oder alleinstehend waren. Seit dem 16. Jahrhundert gibt es Abbildungen von ihnen aus dem Harz.
Wie mag das wohl gewesen sein, mit ihren Kiepen, die selbst schon 12 Kilo wogen und dann noch bis zu 40 Kilo oben auf? Das frag ich mich, mit meinem leichten Rucksack auf den Rücken und auf den Harzer Stiegen, die oft von ihnen stammen.
In 13 "Schnappschüssen" habe ich gefasst, was mir durch den Sinn ging und ich über sie herausgefunden habe. Denn das kreative Schreiben ist stets mit mir unterwegs. Und die "13 Ways of Looking at a Blackbird" von Wallace Stevens sind mir immer wieder gern Impuls, um Eindrücke ein- und aufzusammeln.
Als Harzer Kiepenfrau – in 13 Bildern
- Der Fluss weist mir den Weg. Wie er murmelt und plätschert und rauscht auf meinem Weg bergauf und bergab. Auch wenn ich die Augen kurz zu tue, brauch ich bloß zu horchen. Dass die Harzer Ilse eine Prinzessin sei, stünde in einem Buch, hat mir einer erzählt. Und jeden Tag in ihrem Fluss bade. Davon weiß ich nichts. Aber manchmal erzählt mir der Fluss auch seine Geschichten. Und ich ihm von meinen.
- Da endlich ein roter Fleck in all dem Weiß und Grau und Braun. Der Rock der Schwester. Sie wartet am Felsstein auf mich, mir die Last abzunehmen und sie weiter nach oben zu tragen ins Dorf. Und bringt mir die neuen Waren. Jetzt noch einmal hinunter ins Vorland und dann wieder hinauf ins Dorf und dann ist es für heute getan.
- Den Rock mir zum Knie hochgebunden. Den Anblick mögen sie nicht alle, die hohen Herren, die sich nun in die Berge aufmachen. Aber wie soll es sonst gehen beim Klettern? Trägt eine Ziege einen langen Rock? „Was habt ihr für gewaltige Waden“, hat einer mir letztens gesagt. Und konnte sich wohl nicht entscheiden, ob er das mochte oder nicht.
- Gemüse und Obst. Eier, Brot und Butter. Und Wolle und Garn und Schwarzpulver (zu den Gruben). Gewürze und Kräuter, auch Branntwein. Was nicht alles hinauf- und hinuntergetragen werden will. Und Reisig und (heimlich) Briefe und gar ganze Vogelkäfige mit Harzer Rollern darin. Das Kleinste der Kinder noch im Mantel dazu (wenn es nicht auch obenauf in die Kiepe kommt).
- Landgängerinnen, Pulverfrauen, Kulturfrauen. So haben die Leute viele und wohl noch mehr Namen für uns gefunden. Nur die Kiepe, die tragen wir alle auf dem Rücken.
- Der da sieht aus wie einer mit zwei Köpfen, so im ersten Morgenlicht. Und der da wie ein großer Wurm. So gebe ich den Bergen und Felsen und Klippen Namen. Das treibt die Sorgen aus dem Sinn, für ein kleines Stück Wegs. Die lassen sich nirgends abliefern. Die trägt unsereins den Berg hinunter und nimmt sie auch wieder mit hinauf. Manchmal wünschte ich, ich könnte sie wie die Holzstämme in den Fluss werfen, dass sie ins Tal treiben. Bloß fort von mir.
- Da kommt sie mir wieder entgegen, die Nachbarin. An der engen Stelle, dass wir uns aneinander vorbeidrücken müssen. Ihre Kiepe wohl noch schwerer aus als die meine. Dabei hat sie gut zehn Jahre mehr auf dem Buckel. Ob sie wohl wieder für den Bäcker trägt? Mir wollt er die Brote nicht mehr geben. Aber Lieder kennt sie und Geschichten auch. Und so ein Lied kann den Weg schon ein bisschen leichter machen.
- „Nehmt doch besser einen Stock wie ich, gute Frau“, rät mir der Herr, „so geht es sich leichter.“ Aber wie sollte ich denn stricken beim Gehen, wenn ich einen Stock hielte in der Hand? Und Strümpfe braucht die Familie doch auch.
- Morgen hat sie ihren ersten Gang, meine Marie. Schließlich ist sie schon zwölf. Und oft genug bei mir mitgelaufen. Lernen muss sie´s sowieso. Was der Mann heimbringt aus dem Berg, war nie genug für alle. Und auf die Kleinen aufpassen kann das Hannchen. Die ist auch schon sieben.
- Und wo kein Weg war, haben wir ihn gemacht. All die Stiege, die ihr noch kennt, Jahrhunderte später.
- "Wo will der Herr denn hin?" „Nun, gute Frau, zum Brocken natürlich.“ „Da nebelts, den Weg tät ich nicht empfehlen bei dem Wetter.“ Und er schaut mich an wie: Was weiß solch ein Weib schon vom Wetter? Nun, wenn er sich unbedingt verirren will.
- Tagein, tagaus. Bergab, bergauf. Und die schwere Kiepe zieht und drückt, als säße noch einer mit drauf.
- Da geht sie noch immer, die Kiepen-Anna. Gerade sehe ich sie am Fenster vorbei, mit der vollen Kiepe. „Mit dem Spinnen lässt sich mehr verdienen", hat mein Mann die Leute sagen gehört. Und die Kinder dann auch nicht mehr allein zuhaus. Also spinn ich jetzt. Immer draußen sein bei Wind und Wetter, ich vermiss das nicht. Aber die Anna, die war schon immer lieber draußen als drin. Und die Wolle bringt sie für uns in die Stadt.
Schreiben sammelt ein. So sind die Harzer Kiepenfrauen in meiner "Schreib-Kiepe" gelandet. Und bestimmt habe ich sie nicht zum letzten Mal getroffen. Ich bin gespannt, was da noch kommt auf meinen Wegen durch den Harz.
Inspirationsquellen und Tipps:
- "Frauen in der Geschichte: Kräuterweiber, Kiepenfrauen und Botengängerinnen im Harz", Christa Winter-Hespe, Landkreis Goslar Frauenbüro, 1991 (das Heft konnte ich in der Harzbibliothek in Wernigerode einsehen)
- „Hercynia Curiosa oder Curiöser Hartz-Wald: Auf den Spuren früher Harzreisender", Uwe Lagatz, Verlag Jüttners 2011. Die Geschichte des "Harz-Tourismus" in Text und Bild (habe ich mir über die Fernleihe der Bibliotheken bestellt)